12. Junge Ohren Preis

„Braucht Musik Vermittlung oder vermittelt sie sich nicht eigentlich selber?“ Das ist eine Frage, die sich auch (Musik-) Vermittler*innen immer wieder stellen. Etwa auf den Fachveranstaltungen rund um die 12. Preisverleihung des Junge Ohren Preises. Zu diesem lud Lydia Grün, Chefnetzwerkerin der Musikvermittlerszene und seit unserem Interview im September in den „Olymp“ des Rates für Kulturelle Bildung eingezogen,  zusammen mit ihrem umtriebigen Junge Ohren Team kürzlich in die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt ein.

Angesichts der beeindruckenden Programme, die für den Preis nominiert worden sind, beantwortet sich die eingangs gestellte Frage selbst: Ja, Musik braucht Vermittlung. Zumindest wenn man komplexere und aktivere Zugänge zur Musik für wichtig hält, als das „bewußtlose“ Konsumieren von Musik. Schon der lustvolle Umgang mit dem ureigensten Instrument – der Singstimme – ist für Viele eine Hürde, die einer Brücke bedarf und eines motivierenden Impulses diese Brücke auszuprobieren. Und es gibt sie.

Ich persönlich habe mich darum gefreut, dass ausgerechnet jenes Projekt den 1. Preis gewonnen hat, das genau dort (bei der eigenen Stimme) ansetzt, das nachhaltig angelegt ist und im übrigen für die niedrigschwellige Nachahmung prädestiniert ist: Sing! vom Rundfunkchor Berlin. GRATULATION!

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Allerdings sind die anderen Projekte – genauer gesagt Programme, denn es handelt sich durchweg um Aktivitäten, die langfristig angelegt sind – ebenso preiswürdig. Das hat sich u.a. daran gezeigt, dass die Jury einen Tag dranhängen musste, um sich auf einen Gewinner zu einigen.

Es ist mir daher ein Anliegen und eine Freude, hier ein bißchen Werbung zu machen für dieses außergewöhnliche Engagement:

 

Education-Programm der Klavier-Festivals Ruhr (Essen)

Stiftung Klavier-Festival Ruhr

 

Ludwig + Du (Bonn)

Internationals Beethovenfest Bonn

 

Piccolo Concerto Grosso (Zürich)

Ox & Öl

 

Querklang (Berlin)

Universität der Künste Berlin, K&K Kultkom, Klangzeitort, Kulturkontakte e.V. Berliner Festspiele – Maerzmusik

 

WDR Musikvermittlung (Köln)

Westdeutscher Rundfunk

 

Erwähnen will auch natürlich auch den Preis in der Kategorie Exzellenz für Reiner O. Brinkmann (er selber kolportierte, Viele hielten das „O“ für eine Abkürzung für „Oper“), der seit vielen Jahren wegweisende Projekte im Bereich des – ja richtig geraten – Musiktheaters konzipiert und durchführt.

 

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Übrigens:

Wer Interesse an einem Mitaufbau einer Arbeitsgemeinschaft zum Thema Musikvermittlung und Education in der Region Hessen Plus hat, der melde sich gerne bei Julia Seitz (oder auch bei mir).

 

Hier erhebt sich der ästhetische Widerstand

Ein Beitrag von meiner Studienkollegin Daniela, der mir richtig gut gefällt. Ja, auch das ist eine Form Kultureller Bildung 🙂

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Berlin, Gelände an stark befahrener Straße, actor Mother Earth + nervous anaytics

Es ist jetzt bestimmt schon mehr als zehn Jahre her, da sah ich im Fernsehen einen Bericht über Guerilla Gardening. Ein Typ, der nachts durch London zog, pflanzte, säte, jätete. Auf öffentlichen Plätzen, Rabatten, an Autobahnen. Ich war fasziniert. Ein heimlicher Widerstandskämfer. Der Untergrund. Fight against tristesse und Beton.  Zeichen setzen für Frieden, gegen diverse – auch gern politische – Missstände.

Das hat mich doch irgendwie angefixt. Aber wohl nur irgendwie, denn gemacht hat sie nichts. Samenbomben hatte ich schon mal auf einer Veranstaltung mitgenommen und wollte sie an einen gaaanz besonderen Ort werfen. Das war dann letztendlich nur der Schrank unter der Spüle in der Küche. Großartig.

Aber nun, 2017. Erhebet euch. Sie hat es getan. Auch wenn Guerilla Gardening heute eher Urban Gardening heißt…

Mit üppiger Hand säte ich. Nahm Samen von Blumen, bunt und Rankenwuchs.

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Promenadologie für Anfänger

Da unterschiedliche Arten der Fortbewegung und Orientierung im Raum und der ästhetisch-forschenden Wahrnehmung ein Leitthema meines Blogs sind:  warum nicht mal ein paar methodische Zugänge vorstellen?

  1. STADTERKUNDUNG UND ORIENTIERUNG

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Wie finde ich mich in einer Stadt zurecht? An welchen Fixpunkten kann ich mich orientieren? In welcher räumlichen, vielleicht auch inhaltlichen oder ästhetischen Beziehung stehen sie zueinander? Welche Barrieren und Schneisen (Strassen, Flüsse etc.) zerteilen die Quartiere? Welche Verbindungen gibt es? Brücken? Blickachsen? Was kenne ich schon? Und was vermute ich hinter der nächsten Biegung, obwohl ich da noch nier war? Wie geht Kartenlesen? Und wie „lese“ ich meine Umgebung?

Fragen wie diesen geht Architekturvermittlerin Jessica Waldera von den kleinen Baumeistern zusammen mit Jugendlichen einer Berliner Integrationsklasse nach. Sie studieren den Stadtplan, folgen Straßenschildern, kartographieren, machen Fotos, Skizzen und Notizen, an markanten Stellen bleiben sie stehen: „Wer hat diese Brücke gebaut? Ah, Karl Schinkel – hat der nicht auch diese eine Kirche entworfen?“ „Warum stehen Polizisten vor diesem Gebäude mit den runden Kuppeln? Was ist das eigentlich?“ „Wozu dieser riesige Torbogen, wo die Menschen doch nur zu Fuß da durch gehen?“ „Und siehst Du diese Säule, wenn man durch das Tor durchschaut? Da ganz da hinten mit was Goldenem oben drauf?“ Wo kommt man eigentlich hin, wenn man von hier aus  immer an der Spree entlanggeht?“

Ich begleite Jessica, als die Auswertung der Stadterkundungen ansteht. Nun wird gemalt, ausgeschnitten, sortiert, rekapituliert, geklebt, beschriftet. Ich bin beeindruckt und irgendwie gerührt, mit welchem Eifer sich die Jugendlichen ihre Welt zusammenkleben. Auch die Jungs. Während ich den Jugendlichen bei ihrem Tun zuschaue wird mir klar: räumliche Orientierung, das Sich-Verorten und intuitive Zurechtfinden in der Umgebung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Jeder, der ein an Demenz erkranktes Familienmitglied hat, der sich schon einmal im Wald verirrt hat oder sich in einer fremden Stadt zurechtfinden musste, deren Sprache er nicht spricht und deren Schilder er nicht lesen kann, weiß wie wichtig das ist. Um wievieles mehr gilt das für diese jungen Menschen, die ihre Heimat verlassen haben und mit Fremdheitserfahrungen auf allen Ebenen umgehen müssen? Und so ist diese recht pragmatische Herangehensweise an gebaute Umwelt genau der richtige Zugang für diese Zielgruppe und liefert handfeste Ergebnisse zum An-die-Wand-pinnen.

 

2. ÄSTHETISCHE FORSCHUNG

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Beim ästhetisch-forschenden Lernen geht es weniger um das Ergebnis, als um das „Wie“ des Wahrnehmens und Forschens, um den subjektiven Erkenntnisgewinn mithilfe ästhetischer Erfahrungen. Beim Netzwerktreffen der Frankfurter Kultur.Forscher!-Schulen, einem von der PwC Stiftung geförderten Schulprogramm, bekomme ich einen praktischen Einblick in ein Forschungsprojekt, das Stefanie Endter vom Weltkulturenmuseum zusammen mit Lehrer*innen der IGS Herder entwickelt und umgesetzt hat: Feldforschung_im_Ostend. Angelehnt an die Forschungsmethoden der Feldforschung sollen die Kinder und Jugendlichen anhand kultureller Phänomene das Viertel erkunden, in dem ihre Schule steht. Wir machen einen Schnelldurchgang. Kunstlehrer Dirk Johanns erklärt uns unseren Auftrag: Hinausgehen, uns mit „fremdem“ Blick in der Nachbarschaft umsehen, 3 Fundstücke fotografieren, Größe, Material, Fundort und Datum notieren.

Los geht’s. Wieder einmal bin ich überrascht, wie anders ich meine gewohnte Umgebung wahrnehme, wenn ich eine bestimmte Brille aufsetze. Was interessiert mich? Was weckt meine Neugierde? Welcher Sache möchte ich auf den Grund gehen? Häufig sind es (auch bei den anderen) die unscheinbaren Dinge, die „nicht ins Bild passen“; über die wir irgendwie „stolpern“: da ist z.B. der öffentliche Mülleimer, der grün ist, wo alle anderen blau sind (inzwischen weiß ich, dass er Teil einer Müllkampagne der Stadt Frankfurt ist). Es ist ein Turnschuh, der einfach auf dem Bürgersteig liegt, als wäre sein/e Besitzer*in beim Gehen hinausgeschlappt ohne es zu merken und einfach weitergegangen (war’s Aschenputtel?). Ein Dixiklo steht etwas verloren auf dem Gehweg (aber weit und breit keine Baustelle). Oder eine Überwachungskamera (welchen Schatz hütet sie, an einem Haus, das unscheinbarer nicht sein könnte?).

Welche Geschichte erzählen diese Dinge? Welche Fragen werfen sie auf? Und: Wie können wir diesen Fragen nachgehen? Der möglichen Fragen und Forschungsmethoden sind grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Wir machen erste zaghafte Versuche und erfahren beispielsweise im Gespräch mit einem Nachbarn, dass es zu dem Dixiklo durchaus eine Baustelle gibt – und überhaupt, wie viele Umbau- Ausbau-, und Neubaumaßnahmen es hier im Frankfurter Ostend derzeit gibt. Die Gentrifizierung lässt grüssen.

Zurück in der IGS tragen wir unsere Fundstücke und ersten Forschungsergebnisse zusammen. Die sind viel spannender als ich es vermutet hätte; selbst das Wenige, was wir in der kurzen Zeit (heraus-) gefunden haben, verrät mehr über das Viertel (und das sehr lebensnah), als viele andere Herangehensweisen es ermöglicht hätten. „Verschlagwortung des Ostends“, so nennt Johanns die systematische Erfassung der gesammelten Fundstücke und der zusammengetragenen Daten.

Nun wird’s literarisch: Wir denken uns Geschichten zu unserem Fundstück aus: Wo wurde es hergstellt? Wem gehört(e) es? Und wie kommt es an diesen Ort? Das Ergebnis sind höchst originelle, witzige, poetische, überraschende, eben literarische Texte, die sowohl unserem Fundstück, als auch unsererm Forschungsfeld, dem Frankfurter Ostend eine künstlerische Dimension geben.

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So kann man immer weiter in die Tiefe gehen.  Fragen und Antworten sind, wie jede/r Forscher*in weiß, prinzipiell unendlich. Wichtig ist, dass sie dem eigenen Interesse entspringen. Und dass nicht nur der Kopf angesprochen wird, sondern eben auch Herz und Hand. Das gilt auch für uns. So bilanzierte meine Studienkollegin Beate: „Durch das Tun habe ich sofort verstanden, was ästhetische Forschung ist.“

 

3. PROMENADOLOGIE

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Ich mag allein schon das Wort. „Promenadologie“ – das hat etwas wundebar Entschleunigtes. Angemessen entspannt sind denn auch Bertram Weisshaar und Martin Schmitz die uns Kultur.Forscher! – Netzwerker aus ganz Deutschland in diese Kunst, auch Spaziergangswissenschaft genannt, einführen. Hinter diesen putzigen Begriffen steckt eine um wissenschaftliche Anerkennung ringende, in jedem Fall unorthodoxe, gewohnte Betrachtungsweisen des Individuums herausfordernde Herangehensweise an gebaute Umwelt. In diesem Fall: die Umgebung rund um unser Hotel in Baunatal.

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Unsere Aufgabe ist denkbar einfach: wir sollen dem roten Strich auf einer Google Earth Karte folgen. Kann ja nicht so schwer sein, denke ich – bis ich die Karte sehe … Schon nach 100 Metern das erste Hindernis: Der Edeka steht im Weg.

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Was tun? Kein Problem für Promenadologen wie uns. Kurze Lagebesprechung, dann umgehen wir das Problem-Gebäude kurzerhand; aber immer schön dicht dran entlang. Das allerdings ruft eine Edeka Mitarbeiterin auf den Plan, die zutiefst irritiert ist über die Karavane, die sich da am Haus entlangschlängelt. Zwar wurde dem restbegrünten Supermarktgelände zwischen Parkplatz, Müllcontainern und Lagerhalle sicher noch nie so viel wertschätzende Aufmerksamkeit zuteil, aber man sieht uns unser aufrichtiges, ja sogar wissenschaftliches Interesse offenbar nicht auf den 1. Blick an. Jedenfalls tut die Frau, was viele Menschen tun, wenn sie verunsichert sind: erst mal losschimpfen.

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Regel No 1: immer den direkten Weg nehmen

Da niemand sie in ihrem Ärger so recht ernst nimmt, eskaliert die Lage („ihr Wichser“), was später zu einer Diskussion über das Phänomen des Terretoriums und das Übertreten von Grenzen – den Sichtbaren und vor allem den Unsichtbaren – führt. Da haben wir im wahrsten Sinne ganz schön was losgetreten – dabei sind wir erst rund 150 Meter weit gekommen.

50 Meter und eine abschüssige Böschung später landen wir unversehens bei einem von Wohnhäusern umstandenen morastigen Biotop. Wie das jetzt hier hinkommt? Keine Ahnung. Auf mich wirkt es als hätte eine wildgewordene Bürgerinitiative dieser merkwürdig gesichtslosen Ansammlung von Funktionsbauten und Wohnhäusern wenigstens ein (schön quadratisches), keiner direkten Nutzung zugängliches Fleckchen Erde abtrotzen wollen. Als Forscher*in darf ich sowas bestimmt nicht denken und schon gar nicht schreiben. Also zurück in den Forscher*innenmodus.

Weiter geht es durch ein Wohngebiet. Ich bewege mich, als wäre ich auf dem Mond gelandet. Jedes noch so banale Detail erscheint mir plötzlich neu und bedeutungsvoll. An einem Wendehammer mit lauter angrenzenden Privatgrundstücken wollen wir beinahe aufgeben. Aber eine von der Edeka-Erfahrung geläuterte, gleichwohl beherzte Kollegin bittet erfolgreich um Durchlass. Unter den kopfschüttelnden Blicken der Hausbesitzerin setzen wir unsere Promenade zwischen Garage, Rosenstauden und Fußballtor fort über die dahinterliegende grüne, seltsam ungenutzt Wiese dem nächsten Abenteuer entgegen…

Ein solcher Spaziergang birgt tatsächlich schon auf wenigen 100 Metern jede Menge Überraschungen und einen Hauch von Abenteuer an einem Ort, der mir geradezu gruselig vorhersehbar erscheint. Nicht nur, dass ich anders sehe, ich sehe auch Anderes: Brachen und die vernachlässigten Rückseiten der herausgeputzten Vorderseiten. Aber auch unvermutete, intime „Idyllen“. Zudem nähere ich mich aus ungewohnter Perspektive. Fragen der Stadtplanung tauchen auf, überhaupt der Planung: Wer plant was, wie und warum? Ein Zitat von Lucius Burckhardt, dem Vater der Spaziergangswissenschaften, bleibt hängen:  „Die Verschlechterung unserer Umwelt ist nichts anderes als die Summe dessen, was bei der Planung unter den Tisch fiel.“ Also gut, holen wir es dort wieder hervor! Darum mein Fazit: ein hochinteressante Disziplin. Sie sei allen Soziolog*innen, Städte- und Landschaftsplaner*innen, Architekt*innen und auch Kulturellen Bildner*innen wärmstens empfohlen, sowie all jenen, die immer schon mal durch fremder Leute Gärten stiefeln und hidden und forbidden places entdecken wollen (also allen Kindern 🙂

 

 

 

…und noch ein paar Links:

Stadterkundung:

Anke M. Leitzgen und Lisa Rienermann: „Entdecke deine Stadt. Stadtsafari für Kinder.“

Lehrerhandbuch „StadtteilDetektive“ des Deutschen Architekturmuseums (Downoload)

Ästhetische Forschung:

Christina Leuschner und Andreas Knoke (Hrsg.): „Selbst entdecken ist die Kunst“

Carina Herring: Ästhetische Forschung in der Schule und in der Kunstlehrerausbildung

Blog über ein ästhetisches Forschungsprojekt zweier Studentinnen.

Spaziergangswissenschaft:

Audio Downloads bei Talk-Walks

 

 

Falls Ihr weitere Anregungen habt, schickt mir Links oder Projetbeschreibungen. Ich werde sie hier gerne veröffentlichen.

Vielen Dank an Anja Littig für die Projektdokumentation_Frankfurter_Nordend.

 

 

 

 

Interview mit Lydia Grün von „Kultur öffnet Welten“

Ein halbes Jahr lang sind Lydia Grün, Geschäftsführerin des netzwerks junge ohren e.V. und ihre Kollegin Claudia Frenzel im Auftrag der bundesweiten Initiative „Kultur öffnet Welten“ durch deutsche Lande gezogen. Diese Initiative bietet all jenen Projekten eine Plattform und Unterstützung an, die sich in besonderer Weise der Kulturellen Teilhabe für Alle verschrieben haben. Und dies insbesondere abseits der Metropolen, wo „der Scheinwerfer des Feuilletons nicht so kräftig strahlt“. In Regionalworkshops haben die beiden Akteur*innen aus Kultur und Zivilgesellschaft zusammen und miteinander ins Gespräch gebracht, haben vernetzt und verzahnt, haben diskutiert über die Fragen, die diese AkteurI*innen bewegen, die Herausforderungen, die zu bewältigen sind, die Lösungen, die es geben könnte, haben eine ungeheure Vielfalt an Kulturprojekten und Initiativen kennengelernt. Vor allem haben sie zugehört. Viel und gut zugehört.

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Sie waren in Lingen an der Ems, in Lüdenscheid, Rosenheim und Rudolstadt…..

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So sieht es aus, wenn der Intendant des Rudolstädter Theaters im Soziokulturellen Zentrum mit der Vertreterin der Thüringer Landgesellschaft mbH diskutiert und ich ein verwackeltes Foto schiesse. Unglamouröse aber notwendige Basis-Netzwerkarbeit mit oft überraschenden Ergebnissen.

 – und dort war auch ich. Als Zaungast in der thüringischen „Provinz“, sozusagen. Mich interessierte, wie gerade im ländlichen Raum Kooperationen entstehen, wie und woran sie sich bewähren müssen und überhaupt wie die Kulturleute in Thüringen so druff sind. Noch spannender waren dann aber die Pausengespräche mit den beiden Frauen die nun, am Ende ihrer „Forschungsreise“, zu einer Art wandelndem Seismograph für die Befindlichkeiten und die Belange der Kulturakteur*innen an der Basis geworden sind.

Dankenswerter Weise lässt Lydia Grün uns an diesem Wissens- und Erfahrungsschatz teilhaben. (Ich bitte, die schlechte Tonqualität zu entschuldigen – Ich übe noch).

© Oliver Roeckle und Mareike Lambertz

 

 

 

 

 

Lüften.

Oder öfter mal an die frische Luft gehen …

IMG_8838Es ist schon ein paar Jahre her, als ich mit meiner Familie auf dem „Lüften-Festival“ des Künstlerhauses Mousonturm bei einer interaktiven Performance mitgemacht habe, die meine Kindern – damals 6, 8 und 10 Jahre alt – einfach grossartig fanden. Den Mitmachenden wurde über Kopfhörer eine Stunde lang Anweisungen gegeben, was sie tun sollten. Das war schön schräg. Die Anweisungen gingen etwa so: „Gehen sie auf die Wand gegenüber zu. Versuchen sie, die Wand mit den Händen wegzuschieben…. Kräftig! Nun setzten Sie sich auf den Stuhl der hinter Ihnen steht. Da ist schon was auf dem Stuhl. Stehen sie auf und ziehen sie die Person, die den Stuhl in Beschlag hält an den Händen weg.“

Es gab, was man erst nach und nach verstand, 4 Gruppen, die einen unterschiedlichen Text hörten. Nach 15 Minuten wechselte der Text und man tat, was andere zuvor getan hatten. Also etwa: „nehmen sie einen der herumstehenden Stühle und stellen sie ihn hinter eine der Personen, die sich gegen die Wand stemmen. Legen sie sich mit dem Rücken auf den Boden und ihre Beine im rechten Winkel auf den Stuhl… Autsch! Lassen sie sich nun an den Händen wegziehen und bleiben wie tot liegen bis ….“

IMG_8833Das Ergebnis war eine Choreographie, die zunächst unverständlich und vollkommen gaga war, dann an Struktur gewann und am Ende eine gewisse tänzerische Eleganz und Leichtigkeit hatte. Unsere Kinder hatten einen Mordsspaß dabei, unsinnige Anweisungen zu befolgen – und dies mit lauter Erwachsenen, die mit bierernster Miene Stühle durch die Gegend trugen und sich gegenseitig an den Armen über den Bogen zogen.

FullSizeRenderInzwischen hat meine Tochter ein Schülerpraktikum beim Mousonturm absolviert und nimmt Ihre Mama manchmal abends dorthin mit. So wie gestern zu „LIGNA. Rausch und Zorn. Studien zum autöritären Charakter„. Ich musste an das Erlebnis von vor 5 Jahren denken, denn die Grundkonstellation der Performance war dieselbe, wenn auch mit vollkommen anderer inhaltlicher Ausrichtung. Und erweitert um den öffentlichen Raum: 30 Menschen, die anweisungsgetreu rückwärts die Berger Straße entlanglaufen, den Verkehr lahmlegen und zufälligerweise die Ohrstöpsel just in dem Moment aus dem Ohr nehmen und sich trollen, als die Polizei auftaucht und auch nicht so recht weiß, ob es hier etwas zu regeln gibt. Das nenn ich „Intervention im öffentlichen Raum“. Großes Kino!

Aber zurück zum Lüften. Was ich eigentlich sagen will: wir sollten unseren Kindern öfter „Unverständliches“ zumuten bzw. zutrauen. Für uns Unverständliches, sollte ich hinzufügen. Denn das Neue, Unverständliche, Irritierende ist sowieso ihre Welt – ohne dass wir das überhaupt wahrnehmen. Und weil das so ist, sind die Kids Meister in der spielerischen Auseinandersetzung mit all diesem absurden Zeugs das täglich auf sie einströmt – und finden es super, wenn Erwachsene da endlich mal mitmachen. Die Beschäftigung mit Kunst, so meine These, kann  eine wunderbare, gemeinsame Spielwiese sein, auf der Kinder und Erwachsene sich als Staunende, Fragende, Sich Einlassende begegnen. Wartet nicht zu lange damit, denn irgendwann isses vorbei mit dem Sicheinlassen: wenn meine beiden Jungs im Moment das Wort „Museum“ oder „Kultur“ hören, bekommen sie Pickel, Juckreiz und Schnappatmung. Mal sehen, ob sich dar Tor zu unserer Spielwiese an der frischen Luft für sie irgendwann wieder öffnet ….

Habemus Documenta

Überall säuselt, flüstert, zischelt es. Die Stadt spricht mit mir, ganz Kassel ist ein einziges, unheimliches Raunen. Und immer wieder dieser Satz: „Ignoranz ist eine Tugend.“ Ich kann mich ihm nicht entziehen, bleibe zuweilen wie hypnotisiert stehen. Er wirkt wie ein Mantra, das durch alle Poren dringt, sich durch die Gehörgänge windet, den Kopf mit einem Summen erfüllt und in jede Zelle meines Körpers einzudringen scheint. Was ist innen, was ist außen? Bin das schon ich, das da spricht? Und manifestiert sich der Satz (ein Trump-Zitat) durch seine ständige Wiederholung? Womöglich in mir?

Mir wird schwindelig.

Diese Documenta geht unter die Haut, jedenfalls unter meine. Der Dauerattacke auf mein persönliches Betroffenheitszentrum habe ich nicht viel entgegenzusetzen. Vielleicht liegt es daran, dass ich zur Zeit tatsächlich recht dünnhäutig bin. Vielleicht ist es auch die schiere Masse an Kunstwerken, die mir die (politischen) Missstände auf der ganzen Welt vor Augen führen aber kaum Ursachenforschung betreiben und mich ohnmächtig und mit einem Gefühl körperlich schmerzender Beklemmung im Brustkorb zurücklassen anstatt mit einer Handlungsoption als Ventil und Ausweg.

Zu Klangkörpern verarbeitete Wrackteile von havarierten Flüchtlingsbooten, ein gruseliger Vorhang aus zwangsgekeulten Rentierschädeln mit Einschusslöchern, Beate Zschäpe als Schrumpfkopf, ein fieses riesenpopeliges Etwas, ein noch fieseres Video über Sadomaso-Spielchen, eine interaktive Scheinhinrichtung, die großartigen, aber verstörenden Bilder von Miriam Cahn. Wo ich auch gehe, wohin ich auch sehe – die Welt ist ein grausamer, hässlicher, von Menschenhand geschaffener Ort.

Als geradezu perfide empfinde ich die Installation von Pelagie Gbaguidi: Ein lichter Bogenfenster-Gang mit langen, weißen Stoffbahnen behangen, dazwischen ein Schaukelpferd und schicke „Vintage“ Schulbänke. Bei so viel freundlicher Luftigkeit wähne ich mich in einer kleinen Oase … puuh, erst mal durchatmen … Erst bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die fröhlichen Kinderkrikeleien auf den Stoffbahnen als albtraumhafte Szenen und verzerrte Fratzen und die ganze Inszenierung als eine Art perverse Bildungsanstalt. An der Wand entdecke ich Zettel mit Zitaten: „Ein Sklave, der seinen Besitzer, seine Besitzerin oder deren Mann oder Kinder schlägt, wird mit dem Tod bestraft.“ Der Satz geht mir durch Mark und Bein. Er stammt aus dem sogenannten „Code Noir“, einem 1685 erlassenen Dekret, das die Praxis der Sklaverei im französischen Kolonialreich gesetzlich regelte. Daneben hängen Kopfhörer. Ich setzte einen auf und höre berückend schöne Klänge von Johann Sebastian Bach – die Musik der westlichen, gebildeten Welt jener Zeit. „The Missing Link. Decolonisation Education by Mrs Smiling Stone“, so heißt das Kunstwerk. Für mich ist es eines der Besseren auf der Documenta. Aber auch wenn die künstlerisch gestellte Frage ob und wie sich Ent-Kolonialisierung erlernen lässt, eine  ist, die eine hoffnungsvolle Zukunft für möglich hält, fühle ich mich schier erschlagen von der „hinterhältigen“ Brutalität des Kunstwerkes.

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Am Ende des Tages komme ich mir irgendwie vergewaltigt vor. Auf dem Rückweg arbeitet es in mir. Jaja, schon klar: Kunst darf, soll, muss aufrütteln, irritieren, unbequem sein etc. Manchmal tut sie weh. Aber heute rebelliere ich. Meine Jungs sind schon vor Stunden in die innere Immigration gegangen. Auch ’ne Möglichkeit.

Ich sinniere über Kunst und Macht. Kunst Macht etwas mit mir. Aber hat Kunst auch die Macht, (über mich) die Verhältnisse zu verändern? Sie gar kontrolliert zu steuern? Und wer hat die Macht, zu entscheiden, was ich wo und wie zu sehen bekomme? Wer hat die Deutungsmacht darüber, was „gute“ Kunst ist? Welche Kunst sich in der Museumslandschaft und auf dem Markt durchsetzt? Welche Kunst sich dementsprechend reproduziert?

Wer Macht Kunst?

Der/die (autonome) Künstler*in? Adam Szymczyk? Die Besucher qua Eintrittsticket? Brad Pitt? Ich weiß, die Frage ist weder originell, noch neu. Vielleicht stößt sie mir auch deswegen so auf, weil sich die Documenta 14 als Bollwerk der Demokratie geriert, gleichzeitig aber Teil eines Systems ist, das unverholen undemokratisch und exklusiv ist und welches eine der wenigen schicken Methoden ist, eine ordentliche Rendite für sein Geld zu bekommen (funktioniert nur, wenn man ordentlich viel davon  hat). Mir brummt der Schädel.

Ich denke weiter: sind die demokratischen Strukturen, die  in der Vermittlungsarbeit ausprobiert werden, ein begrüßenswerter Vorstoß oder eine Art Feigenblatt? Die Kunstvermittler*innen – das sind hier nicht die Leute, die einem mit viel Fachwissen die (Kunst-) Welt erklären, sondern die Documenta Besucher*innen selber. WIR ALLE sind die Experten; jeder ist eingeladen, sein Wissen, seine Ideen, seinen Erfahrungsschatz einzubringen – und der ist genauso viel „wert“, wie der des „eigentlichen“ Experten. Deshalb heißen die Führungen jetzt „Chor“. Und deshalb entstehen ziemlich lange und unangenehme Schweigepausen, weil es eben schwierig ist, im Kreise von völlig Fremden etwas halbwegs Brauchbares zu sagen, wenn der einzubringende Erfahrungsschatz gefühlt gegen Null tendiert. Vielleicht ist das alles aber auch nur ungewohnt, und wir wollen eben (noch) den guten alten autoritären „Frontalunterricht“ zurück …

Ich schliesse die Augen und beschliesse, ein anderes Mal weiterzudenken. Auf der Autobahn dämmere ich der Nacht entgegen … Ignoranz ist eine Tugend. Ignoranz ist eine Tugend. Ignoranz ist …

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Der Raum als Dritter Pädagoge

Dahlmannschule_Schulhof.jpgNeulich bei mir um die Ecke bei 30 Grad im Schatten: 15 Kinder, ein Rasensprenger und die trostlose Asphaltwüste unserer nigelnagelneuen Stadteilgrundschule. Die riesige Platane – einst stolzes Entree zum Schulhof und beliebter Schüler*innentreffpunkt – kann nicht retten, was Architekt*innen und Schulträger an Ideen- und Lieblosigkeit dahingeklotzt haben. Tapfer trotzen die Kinder der Hitze und der Ödnis eines Ortes, der  für sie aber offensichtlich nicht von ihnen entworfen wurde. Die umgrenzende Betonmauer wurde scheinbar gebaut um einem Atomkrieg, Panzerterrorangriffen oder flüchtigen Schüler*innen standzuhalten. Sie führt mich zum vorderen Schulhof, der mit seinem quadratischen Kasernenhofcharme dem anderen Hof in nichts nachsteht. Betonsitzmöbel verhindern, dass die Kinder Fußball oder Fangen spielen könnten. Macht nichts, sie treten sich hier eh gegenseitig auf die Füße, denn die Schule wurde im Zuge der Ganztagsschulentwicklung vergrößert – der Schulhof entsprechend verkleinert. Ein Turmgerüst animiert zu körperlicher Ertüchtigung. Ansonsten gibt es auf diesem Hof nichts zu tun, nichts zu entdecken, nichts zu verstecken. Die Phantasie stirbt zuerst …

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Räume machen etwas mit uns.

Räume und gebaute Umwelt beeinflussen nicht nur wie wir uns fühlen, sondern auch wie wir leben, wie wir unser soziales Miteinander gestalten, wie wir handeln, welche Entwicklungsmöglichkeiten wir haben. In Bildungsinstitutionen spielen diese Zusammenhänge eine besondere Rolle. Es heißt, der Raum sei – neben Mitschüler*innen und Lehrer*innen – der 3. Pädagoge. Er ermöglicht und unterstützt – oder hemmt – bestimmte Arten des Lernens, des Denkens, des Umgangs miteinander. Er ermöglicht Entwicklungen – oder verhindert sie.

Räume sind daher wichtige Steuerungsinstrumente für Schulentwicklung; sie sind Zeuge und Mitgestalter von Schul- und Lernkultur. Erfreulicherweise entdecken immer mehr Schulen das Thema Architektur und Raumwahrnehmung als künstlerisch-kreatives Lernfeld mit mannigfaltigen Anknüpfungspunkten zu anderen Lern-Disziplinen und zur Lebenswelt der Schüler*innen. Angeregt und unterstützt von Kulturinstitutionen, Architektenkammern, freischaffenden Künstler*innen und Architekte*innen nutzen sie es partizipativ im Hinblick auf anstehende schulische Gestaltungskonzepte und (Um-) Baumaßnahmen.

Ganz vorne dabei: die Berliner. Kein Wunder, sie leben auf und mit der Baustelle. Nordrhein-Westfalen, ohnehin Vorreiter in Sachen Kultureller Bildung. Aber auch rund um die Weimarer Bauhaus-Architektenschmiede ist man umtriebig. In diesem Dunstkreis habe ich eine Grundschule besucht, die sich dem Thema Schulhaus- und Raumgestaltung, Raumerforschung und Schulraumaneignung intensiv, kreativ und mit fühl-, seh-, und sogar hörbarem Erfolg widmet.

Die Parkgrundschule am Weimarer Stadtrand (schon der Name klingt einladend) wirkt wie eine beschauliche, etwas in die Jahre gekommene, aber für und mit den Kindern liebevoll in Schuss gehaltene und gestaltete Dorfschule. Als teilnehmende Schule des thüringer Programms „Kulturagenten für kreative Schulen“ entwickelt und verstetigt das Lehrerkollegium gemeinsam mit der betreuenden Kulturagentin Sybill Hecht ein kulturelles Schulprofil.

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Wer kreative Angebote machen will, der braucht entsprechende Räumlichkeiten. Die Parkschule hat sie: Werkstätten und Ateliers, einen Kreativraum, einen Natur- und Erlebnisgarten mit Naturtheater und grünem Klassenzimmer, einen großen Begegnungs-Raum und viele kleine Eckchen zum Sich-Zurückziehen, Nasepopeln und Seele baumeln lassen – was ja bekanntlich beste Voraussetzungen für kreatives Denken sind.

Die Ergebnisse sind überall zu bewundern und – auch das fand ich bemerkenswert – so inszeniert, dass sie den Schulraum nicht einfach nur „zumüllen“. Die Klassenzimmer versprühen charmanten Altbaucharme (man wartet darauf, dass Pippi Langstrumpf auf dem Kleinen Onkel vorbeireitet). Das Schulgelände ist nicht großzügig bemessen, aber rund um eine prächtige Rotbuche als Terrassenlandschaft so angelegt, dass alles möglich ist, was Kindern Spaß macht und jede/r dafür sein Eckchen findet, anstatt in der Masse unterzugehen. Selbst die Toiletten, in den meisten Schulen ein Ort des Grauens, den man nur mit Ganzkörper-Hygiene-Schutzanzug betreten möchte – was aber aus technischen Gründen unvorteilhaft ist – sind hier sauber und von den Kindern wunderbar künstlerisch gestaltet.

Auch im aktuellen Kulturagenten Projekt geht es um die Gestaltung der Schule, diesmal des Hofzaunes. Unter Anleitung des Künstlers Ronny Korn entwarfen die Schüler*innen mit Ölpastellkreide Zaunkönige, die dann in Kooperation mit Schüler*innen des Berufsbildungszentrums und begleitet von dem Architekten Michael Brehme wetterfest auf Eichenholzbretter verklebt wurden und nun schulkindgroß am Schulzaun prangen. Der erfüllt nach wie vor seine wichtige Abgrenzungs- und Schutzfunktion. Gleichzeitig aber ist der Zaun ein fröhlicher Hingucker, ein Identifikationsstifter für die Kinder und ein Kommunikationsangebot für alle, die vorbei gehen: „Seht her, bei uns sind lauter Zaunkönige unterwegs. Cool, was?“ Das Lehrerkollegium versteht diesen Zaun zu Recht als „Öffnung in den Stadtraum“. Was für ein Unterschied zu dem Betonmonster unserer Nachbarschaftsschule!

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© Sybill Hecht

Liebe Lehrer*innen, Schulleiter*innen, Erzieher*innen, Schulträger, Architekt*innen, Eltern und Schüler*innen,

wenn an Eurer Einrichtung eine Umbau, Neubau oder sonstige gestalterische Maßnahme ansteht: kümmert Euch um Euren Dritten Pädagogen! Gestaltet ihn mit! Schaut Euch um auf dem Markt der Architekturvermittlung. Es gibt viel zu entdecken und mehr Unterstützung und positive Vorbilder als Ihr denkt!

 

Hier ein eine kleine Starthilfe:

Unterrichtsmaterial

Modulkatalog „Architektur_ein_idealer_Lernstoff“ der Architektenkammer Thüringen (Download)

„Architektur Werkstatt. Lehrmaterial für den Unterricht im Fach Kunst.“

Marion Küppers und Mary Zink: „Architektur und Raum lebendig machen: 28 Stationen für den Kunstunterricht“

Anleitung und Material für schulische Projektwochen „Alles nur Fassade“ der Architektenkammer Nordrhein-Westfahlen (Download)

Literatur

Manuel Cuadra: „Werkstattbuch-meine-Schule“ (Download)

Ute Reh: „Was Kunst kann. Kunst am Bau als Prozess und als Katalysator für Schulentwicklung.“ (Download Leseprobe)

Rotraud Walden und Simone Borrelbach: „Schulen der Zukunft.“

Antje Lehn und Renate Stuefer: „Räume bilden. Wie Schule und Architektur kommunizieren.“

Günther Opp und Angela Brosch: „Lebensraum Schule.“

Elisabeth Gaus-Hegner: „Raum erfahren- Raum gestalten: Architektur mit Kindern und Jugendlichen.“

Architekturvermittlung und Lehrerfortbildung

Berliner Architekturvermittler kleine baumeister

Architekturvermittlung und Lehrerfortbildung im Deutschen Architekturmuseum

Architekturvermittlung und Lehrerfortbildung der Architektenkammer Hamburg

Fortbildungen und Netzwerkarbeit der Landesarbeitsgemeinschaft Architektur in der Schule

Symposium „Architektur bildet“ der Bauhaus- Universität Weimar

Architekturprojekte

Schulkunst – Kunst verändert Schule

Bayrische Architektenkammer: Durchgeführte Unterrichtsprojekte. (Download)

Ausgewählte Schulprojekte der Studierenden der Bauhaus- Universität Weimar

RAUMGestalten – Schularchitekturprojekte in Österreich. (Download)

Unterstützung

Bundesarchitektenkammer

Wüstenrot Stiftung

Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

 

P.S. Als hätt ich’s geahnt 🙂 Danke Sybill, für das Bild :-))

Pferd am Zaun
© Sybill Hecht

 

Architektur – Kultur – Bildung – Politik. Eine ménage à quatre.

aussen_1Zur Fachtagung „Die politische Dimension der kulturellen Bildung“ der Kulturagenten für kreative Schulen Thüringen und der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Thüringen bin ich allein schon deswegen gefahren, weil das Thema in einem wunderbaren Spannungsverhältnis zum Ort des Geschehens steht: der Alten Parteischule in Erfurt.

Die Bezirksparteischulen waren Zentren der sozialistischen Lehre und der SED-Kaderbildung; ihr Besuch die Voraussetzung, um eine staatliche oder innerparteiliche Spitzenposition zu erreichen. Die abgeschiedene Ausbildung ihrer Nachwuchskräfte – die Erfurter Parteischule hieß im Volksmund „Rotes Kloster“ –  liess sich die Staatspartei etwas kosten. Ob Polstersessel in den Hörsälen, luftig geschwungene Hallentreppen, moderner Komfort in den „Gästezimmern“ oder Zitrusfrüchte in der Kantine –  Architektur und Ausstattung waren eine Demonstration der Priviligiertheit und Macht und gleichzeitig der Funktionalität und Sachlichkeit.

Treppe

Mit einigem Stolz verweist man auf der Webseite auf die Architektur der 70er Jahre, die Opulenz der Ausstattung, die Qualität der Materialien, die ausgestellte Kunst im Stil des sozialistischen Realismus und darauf ein denkmalgeschütztes Gebäude zu sein. Merkwürdigerweise wird mit keinem Wort eine Brücke geschlagen zur Geschichte des Gebäudes und seiner Nutzung. Architektur und Design werden hier bewußt nicht als Zeichensysteme in ihrem  historischen, (bildungs-) politischen Kontext betrachtet, sondern ahistorisch als erlebbares Event.

Hm, dann muss ich diesen Bezug wohl selber herstellen, denke ich, packe meine Koffer – und verfalle tatsächlich dem ästhetisch-maroden Charme einer Welt, die einem ohne solch handfeste und begehbare Überbleibsel zuweilen wie eine Fata Morgana erscheinen kann. Es ist als wäre die Zeit stehengeblieben und brauchte etwas Willenskraft, um mich einer unkritischen Emotionalität irgendwo zwischen Ostalgie, Nostalgie (ich bin ja selber ein Kind der 70er) und Gänsehaut entgegenzustellen. Dabei hatte ich mir etwas intellektuelle Unterstützung vonseiten der Redner*innen erhofft, die diese steingewordene Verbindung von Kultur, Bildung und Politik als Steilvorlage für das Tagungsthema hätten nutzen können. Haben sie aber nicht. Schade eigentlich.

Essaal

Die Fachtagung war dennoch interessant. Hier einige Gedanken, Anregungen und Fragen, die ich mitgenommen habe:

Wann ist Kulturelle Bildung eigentlich nicht politisch? Werden nicht immer Fragen verhandelt, die auch eine gesellschaftliche Komponente haben? Ist nicht überhaupt jedes Infragestellen und Aufbrechen gewohnter Sichtweisen und  „Wahrheiten“ etwas zutiefst Politisches? Und ist nicht auch die bewußte Abkehr von Politik am Ende – und ungewollt – ein politischer Akt? Dennoch ist es für ein Verständnis von Kultureller Bildung hilfreich und spannend, Unterschiede und Überschneidungen zwischen Kultureller und politischer Bildung ins Visier zu nehmen.

Wand

Spätestens seit den großen Flüchtlingsströmen der letzten beiden Jahre ist (nicht nur) in Deutschland eine zunehmende Politisierung der Kulturellen Bildung zu beobachten. Damit einhergehend die Forderung nach einer transkulturellen Bildung. Ich verstehe diese Forderung, frage mich aber: Braucht es nicht doch unterschiedliche Kulturen als erkennbare, abgrenzbare, wenn auch durchlässige Systeme, um den Individuen eine kulturelle Heimat, Identifikation und auch Geborgenheit anzubieten? Also doch eher Interkulturalität statt einer diese Grenzen von Kulturkreisen aufhebenden Transkulturalität. Die Antworten auf diese Fragen, so glaube ich, werden unsere Gesellschaften in den nächsten Jahrzehnten in unabsehbarer Weise prägen.

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Schillers Utopie eines in der Kunst, im Spiel zu sich selbst findenden selbstbestimmten Individuums als Voraussetzung für den schönen  (heute würde ich sagen: den nach menschenwürdigen, rechtsstaatlichen Prinzipien funktionierenden) Staat ist – zumindest für mich – nach wie vor aktuell.

draussen

Über ein diffuses DDR-Kaderschmiede-Gefühl bin ich an diesem Tag nicht hinausgekommen. Dennoch: Architektur ist ein hervorragendes Medium, um Kultur, Geschichte, gerade auch in ihrer politischen Dimension am eigenen Leib erfahrbar werden zu lassen und im nächsten Schritt bewusst zu reflektieren.

Für Interessierte geht es hier zum Download Architektur und Gesellschaft der Bundeszentrale für politische Bildung.

 

Die Netzwerker*innen vom Projektbüro Kulturelle Bildung

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Wer hat hier voll den Durchblick?   © Dörthe Gerhardt

Auf die Hospitation im Projektbüro Kulturelle Bildung habe ich mich ganz besonders gefreut! Ein Studienkollege sprach mit der allergrößten Hochachtung von dieser Enklave des Hessischen Kultusministeriums (es ist nicht in Wiesbaden, sondern im „fernen“ Frankfurt ansässig): „Aus Sicht des Hessischen Kultusministeriums sind das Freaks“. Ich finde, das klingt ausgesprochen vielversprechend. Mit meiner Kommilitonin Dörthe verabrede ich mich, um diese bildungspolitische Keimzelle der Kulturellen Bildung von innen aufzurollen.

DRINNEN erwartet uns ein aufgeräumter Thomas Langenfeld zuständig u.a. für das KulturSchul-Programm in Hessen sowie die KulturForscher Schulen und heute unser überaus engagierter und auskunftsfreudiger Mentor. Obwohl einiges an Arbeit auf uns wartet, nimmt Thomas Langenfeld sich Zeit, uns einen Überblick über das zu geben, was die sieben (oder acht?) Kulturbüro Mitarbeiter*innen so treiben:

Das Projektbüro Kulturelle Bildung ist Anlauf-, Beratungs-, und Koordinierungsstelle für hessische Schulen, die ein kulturelles Schulprofil bzw. kulturelle Schwerpunkte haben oder anstreben. Expert*innen aus 4 künstlerischen Sparten beraten und vernetzen, stellen Kontakte zu außerschulischen Kooperationspartnern her, begleiten einzelne Projekte, unterstützen ganze Programmreihen (TuSch, Schultheatertage, Response u.a.) und bieten Lehrerfortbildungen zur kreativen Unterrichtspraxis und Fachforen für die Lehrer*innen der hessischen KulturSchulen an. In der Fortbildung liegt auch der Ursprung des Projektbüros: entstanden ist es in den 80er Jahren aus dem sogenannten Kulturmobil, einer rollenden, spektakulär ausfahrbaren Theater- und Kunstwerkstatt, die Lehrerfortbildungen dort anbot, wo man sie brauchte: vor Ort. Dieses Nomadentum erklärt vermutlich auch den Standort Frankfurt und diese – ja – für Behörden geradezu „freakige“ Umtriebigkeit. Hier sind Ermöglicher*innen am Werk, die nah an der Praxis agieren und dort viel bewegen. Trotz dieser sinnvollen und effektiven Arbeit, sollte hier vor einiger Zeit der Rotstift angesetzt werden. Die Gelder waren mal wieder knapp und irgendwo muss ja gekürzt werden … Aber Kultusminister Alexander Lorz himself hat das verhindert. Er ist, so hört man immer wieder, ein Freund der Kulturellen Bildung 🙂

 

 

Genug geplaudert. Nach dem Mittagessen krempeln wir die Ärmel hoch: der morgige Bilanz- und Perspektivtag der KulturSchulen Hessens muss vorbereitet werden. Dörthe und ich kennen das Programm bereits, denn es besteht eine wissenschaftliche Kooperation zu unserer Uni in Marburg. Das Besondere an dem Programm ist, dass es primär nicht auf ein „Mehr“ an Kultureller Bildung abzielt noch auchschließlich auf ein „Anders“ etwa durch Projektkooperationen mit außerschulischen Kulturpartnern. Vielmehr geht es darum, Schule von grundauf zu durchwirken, die Schul- und Lernkultur zu verändern, etwa indem mit dem gesamten Lehrerkollegium ästhetische Zugangsweisen für alle Fächer entwickelt werden. Ein solcher Entwicklungsprozess erfordert regelmäßiges Innehalten und Nachdenken, die Vor- und Rückschau und auch den Austausch mit Partnern und Gleichgesinnten. Damit das morgen für alle Beiteiligten eine inspirierende Veranstaltung mit möglichst konstruktiven Ergebnissen wird, stellen wir sich ergänzende Arbeitsgruppen zusammen, gehen die Moderationsschwerpunkte für diese Gruppen durch, malen Plakate. Nach einer kurzweiligen Autofahrt nach Giessen machen wir uns an den Aufbau im Mathematikum zusammen mit dessen Gründer Prof. Albrecht Beutelspacher.

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Das Mathematikum in Giessen ist eine kleine, nein, eigentlich ziemlich große Wunderkammer und für mich ein Paradebeispiel dafür, wie man regeldominierte, verkopfte Disziplinen wie das „Horrorfach Mathematik“ (eine Googleanfrage ergab mehrere 100 Ergebnisse zu dem Stichwort) öffnen kann für spielerische, experimentelle und vor allem körperlich und sinnlich erfahrbare Zugänge. Und siehe da:

Für alle, die es noch nicht wussten

                                            Wenn ich das früher gewußt hätte!!!

Es ist diese Herangehens- und Denkweise, welche das KulturSchulprogramm initiieren will und für das es steht. Daher an dieser Stelle – stellvertretend für einen langweiligen Veranstaltungsbericht – lieber der Werbeblock für diesen wunderbaren Ort der Kulturellen Bildung:

© Mathematikum / Rolf K. Wegst

© Drei Kugelbilder: Dörthe Gerhardt

P.S. Ich selber habe übrigens an dem Bilanz- und Perspektivtag Dirk Johanns von der IGS Herder kennengelernt, mit dem ich inzwischen ein gemeinsames Projekt mache. Ja, SO geht Netzwerken 🙂