Der Raum als Dritter Pädagoge

Dahlmannschule_Schulhof.jpgNeulich bei mir um die Ecke bei 30 Grad im Schatten: 15 Kinder, ein Rasensprenger und die trostlose Asphaltwüste unserer nigelnagelneuen Stadteilgrundschule. Die riesige Platane – einst stolzes Entree zum Schulhof und beliebter Schüler*innentreffpunkt – kann nicht retten, was Architekt*innen und Schulträger an Ideen- und Lieblosigkeit dahingeklotzt haben. Tapfer trotzen die Kinder der Hitze und der Ödnis eines Ortes, der  für sie aber offensichtlich nicht von ihnen entworfen wurde. Die umgrenzende Betonmauer wurde scheinbar gebaut um einem Atomkrieg, Panzerterrorangriffen oder flüchtigen Schüler*innen standzuhalten. Sie führt mich zum vorderen Schulhof, der mit seinem quadratischen Kasernenhofcharme dem anderen Hof in nichts nachsteht. Betonsitzmöbel verhindern, dass die Kinder Fußball oder Fangen spielen könnten. Macht nichts, sie treten sich hier eh gegenseitig auf die Füße, denn die Schule wurde im Zuge der Ganztagsschulentwicklung vergrößert – der Schulhof entsprechend verkleinert. Ein Turmgerüst animiert zu körperlicher Ertüchtigung. Ansonsten gibt es auf diesem Hof nichts zu tun, nichts zu entdecken, nichts zu verstecken. Die Phantasie stirbt zuerst …

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Räume machen etwas mit uns.

Räume und gebaute Umwelt beeinflussen nicht nur wie wir uns fühlen, sondern auch wie wir leben, wie wir unser soziales Miteinander gestalten, wie wir handeln, welche Entwicklungsmöglichkeiten wir haben. In Bildungsinstitutionen spielen diese Zusammenhänge eine besondere Rolle. Es heißt, der Raum sei – neben Mitschüler*innen und Lehrer*innen – der 3. Pädagoge. Er ermöglicht und unterstützt – oder hemmt – bestimmte Arten des Lernens, des Denkens, des Umgangs miteinander. Er ermöglicht Entwicklungen – oder verhindert sie.

Räume sind daher wichtige Steuerungsinstrumente für Schulentwicklung; sie sind Zeuge und Mitgestalter von Schul- und Lernkultur. Erfreulicherweise entdecken immer mehr Schulen das Thema Architektur und Raumwahrnehmung als künstlerisch-kreatives Lernfeld mit mannigfaltigen Anknüpfungspunkten zu anderen Lern-Disziplinen und zur Lebenswelt der Schüler*innen. Angeregt und unterstützt von Kulturinstitutionen, Architektenkammern, freischaffenden Künstler*innen und Architekte*innen nutzen sie es partizipativ im Hinblick auf anstehende schulische Gestaltungskonzepte und (Um-) Baumaßnahmen.

Ganz vorne dabei: die Berliner. Kein Wunder, sie leben auf und mit der Baustelle. Nordrhein-Westfalen, ohnehin Vorreiter in Sachen Kultureller Bildung. Aber auch rund um die Weimarer Bauhaus-Architektenschmiede ist man umtriebig. In diesem Dunstkreis habe ich eine Grundschule besucht, die sich dem Thema Schulhaus- und Raumgestaltung, Raumerforschung und Schulraumaneignung intensiv, kreativ und mit fühl-, seh-, und sogar hörbarem Erfolg widmet.

Die Parkgrundschule am Weimarer Stadtrand (schon der Name klingt einladend) wirkt wie eine beschauliche, etwas in die Jahre gekommene, aber für und mit den Kindern liebevoll in Schuss gehaltene und gestaltete Dorfschule. Als teilnehmende Schule des thüringer Programms „Kulturagenten für kreative Schulen“ entwickelt und verstetigt das Lehrerkollegium gemeinsam mit der betreuenden Kulturagentin Sybill Hecht ein kulturelles Schulprofil.

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Wer kreative Angebote machen will, der braucht entsprechende Räumlichkeiten. Die Parkschule hat sie: Werkstätten und Ateliers, einen Kreativraum, einen Natur- und Erlebnisgarten mit Naturtheater und grünem Klassenzimmer, einen großen Begegnungs-Raum und viele kleine Eckchen zum Sich-Zurückziehen, Nasepopeln und Seele baumeln lassen – was ja bekanntlich beste Voraussetzungen für kreatives Denken sind.

Die Ergebnisse sind überall zu bewundern und – auch das fand ich bemerkenswert – so inszeniert, dass sie den Schulraum nicht einfach nur „zumüllen“. Die Klassenzimmer versprühen charmanten Altbaucharme (man wartet darauf, dass Pippi Langstrumpf auf dem Kleinen Onkel vorbeireitet). Das Schulgelände ist nicht großzügig bemessen, aber rund um eine prächtige Rotbuche als Terrassenlandschaft so angelegt, dass alles möglich ist, was Kindern Spaß macht und jede/r dafür sein Eckchen findet, anstatt in der Masse unterzugehen. Selbst die Toiletten, in den meisten Schulen ein Ort des Grauens, den man nur mit Ganzkörper-Hygiene-Schutzanzug betreten möchte – was aber aus technischen Gründen unvorteilhaft ist – sind hier sauber und von den Kindern wunderbar künstlerisch gestaltet.

Auch im aktuellen Kulturagenten Projekt geht es um die Gestaltung der Schule, diesmal des Hofzaunes. Unter Anleitung des Künstlers Ronny Korn entwarfen die Schüler*innen mit Ölpastellkreide Zaunkönige, die dann in Kooperation mit Schüler*innen des Berufsbildungszentrums und begleitet von dem Architekten Michael Brehme wetterfest auf Eichenholzbretter verklebt wurden und nun schulkindgroß am Schulzaun prangen. Der erfüllt nach wie vor seine wichtige Abgrenzungs- und Schutzfunktion. Gleichzeitig aber ist der Zaun ein fröhlicher Hingucker, ein Identifikationsstifter für die Kinder und ein Kommunikationsangebot für alle, die vorbei gehen: „Seht her, bei uns sind lauter Zaunkönige unterwegs. Cool, was?“ Das Lehrerkollegium versteht diesen Zaun zu Recht als „Öffnung in den Stadtraum“. Was für ein Unterschied zu dem Betonmonster unserer Nachbarschaftsschule!

Gruppenfoto ZAUNkönige klein
© Sybill Hecht

Liebe Lehrer*innen, Schulleiter*innen, Erzieher*innen, Schulträger, Architekt*innen, Eltern und Schüler*innen,

wenn an Eurer Einrichtung eine Umbau, Neubau oder sonstige gestalterische Maßnahme ansteht: kümmert Euch um Euren Dritten Pädagogen! Gestaltet ihn mit! Schaut Euch um auf dem Markt der Architekturvermittlung. Es gibt viel zu entdecken und mehr Unterstützung und positive Vorbilder als Ihr denkt!

 

Hier ein eine kleine Starthilfe:

Unterrichtsmaterial

Modulkatalog „Architektur_ein_idealer_Lernstoff“ der Architektenkammer Thüringen (Download)

„Architektur Werkstatt. Lehrmaterial für den Unterricht im Fach Kunst.“

Marion Küppers und Mary Zink: „Architektur und Raum lebendig machen: 28 Stationen für den Kunstunterricht“

Anleitung und Material für schulische Projektwochen „Alles nur Fassade“ der Architektenkammer Nordrhein-Westfahlen (Download)

Literatur

Manuel Cuadra: „Werkstattbuch-meine-Schule“ (Download)

Ute Reh: „Was Kunst kann. Kunst am Bau als Prozess und als Katalysator für Schulentwicklung.“ (Download Leseprobe)

Rotraud Walden und Simone Borrelbach: „Schulen der Zukunft.“

Antje Lehn und Renate Stuefer: „Räume bilden. Wie Schule und Architektur kommunizieren.“

Günther Opp und Angela Brosch: „Lebensraum Schule.“

Elisabeth Gaus-Hegner: „Raum erfahren- Raum gestalten: Architektur mit Kindern und Jugendlichen.“

Architekturvermittlung und Lehrerfortbildung

Berliner Architekturvermittler kleine baumeister

Architekturvermittlung und Lehrerfortbildung im Deutschen Architekturmuseum

Architekturvermittlung und Lehrerfortbildung der Architektenkammer Hamburg

Fortbildungen und Netzwerkarbeit der Landesarbeitsgemeinschaft Architektur in der Schule

Symposium „Architektur bildet“ der Bauhaus- Universität Weimar

Architekturprojekte

Schulkunst – Kunst verändert Schule

Bayrische Architektenkammer: Durchgeführte Unterrichtsprojekte. (Download)

Ausgewählte Schulprojekte der Studierenden der Bauhaus- Universität Weimar

RAUMGestalten – Schularchitekturprojekte in Österreich. (Download)

Unterstützung

Bundesarchitektenkammer

Wüstenrot Stiftung

Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

 

P.S. Als hätt ich’s geahnt 🙂 Danke Sybill, für das Bild :-))

Pferd am Zaun
© Sybill Hecht

 

6 Gedanken zu “Der Raum als Dritter Pädagoge

  1. kulturhecht

    Na was für ein toller Artikel. Das werden sich aber die Park-grundschule Akteure freuen.
    Un übrigens, Die Pippi kommt wirklich manchmal vorbei. Foto kommt per Mail 😉

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  2. Freut mich, dass Du damit etwas anfangen kannst, Simone 🙂
    Hattest Du mir nicht auch einmal von einem Buch erzählt zum Thema Architektur und Schulentwicklung? Weiß aber leider nicht mehr von wem und was.

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