Lüften.

Oder öfter mal an die frische Luft gehen …

IMG_8838Es ist schon ein paar Jahre her, als ich mit meiner Familie auf dem „Lüften-Festival“ des Künstlerhauses Mousonturm bei einer interaktiven Performance mitgemacht habe, die meine Kindern – damals 6, 8 und 10 Jahre alt – einfach grossartig fanden. Den Mitmachenden wurde über Kopfhörer eine Stunde lang Anweisungen gegeben, was sie tun sollten. Das war schön schräg. Die Anweisungen gingen etwa so: „Gehen sie auf die Wand gegenüber zu. Versuchen sie, die Wand mit den Händen wegzuschieben…. Kräftig! Nun setzten Sie sich auf den Stuhl der hinter Ihnen steht. Da ist schon was auf dem Stuhl. Stehen sie auf und ziehen sie die Person, die den Stuhl in Beschlag hält an den Händen weg.“

Es gab, was man erst nach und nach verstand, 4 Gruppen, die einen unterschiedlichen Text hörten. Nach 15 Minuten wechselte der Text und man tat, was andere zuvor getan hatten. Also etwa: „nehmen sie einen der herumstehenden Stühle und stellen sie ihn hinter eine der Personen, die sich gegen die Wand stemmen. Legen sie sich mit dem Rücken auf den Boden und ihre Beine im rechten Winkel auf den Stuhl… Autsch! Lassen sie sich nun an den Händen wegziehen und bleiben wie tot liegen bis ….“

IMG_8833Das Ergebnis war eine Choreographie, die zunächst unverständlich und vollkommen gaga war, dann an Struktur gewann und am Ende eine gewisse tänzerische Eleganz und Leichtigkeit hatte. Unsere Kinder hatten einen Mordsspaß dabei, unsinnige Anweisungen zu befolgen – und dies mit lauter Erwachsenen, die mit bierernster Miene Stühle durch die Gegend trugen und sich gegenseitig an den Armen über den Bogen zogen.

FullSizeRenderInzwischen hat meine Tochter ein Schülerpraktikum beim Mousonturm absolviert und nimmt Ihre Mama manchmal abends dorthin mit. So wie gestern zu „LIGNA. Rausch und Zorn. Studien zum autöritären Charakter„. Ich musste an das Erlebnis von vor 5 Jahren denken, denn die Grundkonstellation der Performance war dieselbe, wenn auch mit vollkommen anderer inhaltlicher Ausrichtung. Und erweitert um den öffentlichen Raum: 30 Menschen, die anweisungsgetreu rückwärts die Berger Straße entlanglaufen, den Verkehr lahmlegen und zufälligerweise die Ohrstöpsel just in dem Moment aus dem Ohr nehmen und sich trollen, als die Polizei auftaucht und auch nicht so recht weiß, ob es hier etwas zu regeln gibt. Das nenn ich „Intervention im öffentlichen Raum“. Großes Kino!

Aber zurück zum Lüften. Was ich eigentlich sagen will: wir sollten unseren Kindern öfter „Unverständliches“ zumuten bzw. zutrauen. Für uns Unverständliches, sollte ich hinzufügen. Denn das Neue, Unverständliche, Irritierende ist sowieso ihre Welt – ohne dass wir das überhaupt wahrnehmen. Und weil das so ist, sind die Kids Meister in der spielerischen Auseinandersetzung mit all diesem absurden Zeugs das täglich auf sie einströmt – und finden es super, wenn Erwachsene da endlich mal mitmachen. Die Beschäftigung mit Kunst, so meine These, kann  eine wunderbare, gemeinsame Spielwiese sein, auf der Kinder und Erwachsene sich als Staunende, Fragende, Sich Einlassende begegnen. Wartet nicht zu lange damit, denn irgendwann isses vorbei mit dem Sicheinlassen: wenn meine beiden Jungs im Moment das Wort „Museum“ oder „Kultur“ hören, bekommen sie Pickel, Juckreiz und Schnappatmung. Mal sehen, ob sich dar Tor zu unserer Spielwiese an der frischen Luft für sie irgendwann wieder öffnet ….

3 Gedanken zu “Lüften.

    1. „die einzig mögliche freiheit ist, dem ZUFALL zu folgen.“
      zitat aus einem arte-film.
      der „zufall als prinzip“ selektiver wahrnehmung ist besonders in der „synchronizität der ereignisse“ eine interessante ebene der wahrnehmung, z.b. wenn zwei ereignisse scheinbar zufällig aufeinander treffen; entweder zu unfällen führen oder aber als schicksalhafte begegnung empfunden werden.

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  1. Kann ich verstehen. Der Mousonturm ist für mich tatsächlich eine der aufregendsten Kulturorte in Frankfurt. Wenn es um zeitgenössischen Tanz, Performance, Videoinstallationen, Interventionen im öffentlichen Raum geht, sowieso. Das Publikum ist entsprechend jung – nicht nur der moderaten Eintrittspreise wegen. Na und ich fall fast vom Sofa in die Aufführungshalle 🙂

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