Leuchtturm KulturTagJahr

Ein ganzer Jahrgang macht ein ganzes Jahr lang an jeweils einem ganzen Schultag pro Woche ganz anderen Unterricht als sonst – Willkommen beim KulturTagJahr!

Das von der Altana KulturStiftung ins Leben gerufene kulturelle Bildungsprogramm wird seit 10 Jahren von insgesamt 7 Frankfurter Schulen durchgeführt. Angeleitet durch Künstler*innen unterschiedlicher Sparten erforschen, hinterfragen, … die Schüler*innen die Künste, entdecken ihr eigenes schöpferisches Potenzial, setzen individuelle kreative Prozesse in Gang, probieren, verwerfen, scheitern – und erlangen gerade dort, wo es nicht immer rund läuft, wo sich Widerstände und Irritationen auftun, ein vertieftes Verständnis von dem, was Kunst (ihnen) sein kann.

Als ich mir vor 2 Jahren die Abschlusspräsentation zweier KulturTagJahr Schulen anschaute, war ich ebenso beeindruckt wie nachdenklich. Insbesondere in der Charles Hallgartenschule einer Förderschule, für deren Schülerklientel so schöne Begriffe wie „kulturelle Teilhabe“ und dergleichen erfunden wurde, vermittelte sich mir auf mitreißende Art der Eindruck, dass hier Außergewöhnliches mit den Schüler*innen geschehen war. Das, was und vor allem wie die jungen Leute hier präsentierten, war nicht nur originell, witzig, und im besten Sinne EigenArtig – es war vor allem ihr Ding! Es war die große Selbstverständlichkeit aber auch Freude, mit der die Schüler*innen in dem kulturellen Kontext agierten, die mich bewegte.

„So“, dachte ich, „sieht für mich der kulturelle Schulunterricht der Zukunft aus“ – und machte mich auf den Weg, die Leute hinter dem Programm kennenzulernen. Ich traf Friederike Schönhuth von der Altana Kulturstiftung. Und über Friederike bin ich zu dem Masterstudiengang Kulturelle Bildung an Schulen der Philipps-Universität Marburg gekommen, den die Stiftung ebenfalls finanziell und konzeptionell unterstützt. Er ist ein weiterer Baustein in ihrem Anliegen, Kultur fest und auf künstlerisch hohem Niveau im Schulalltag zu verankern.

Es ist also nur folgerichtig, dass ich meine erste Studiums Hospitation bei der Altana Kulturstiftung und dem KulturTagJahr der IGS Nordend mache. Back to the roots!

 

5. Mai 2017, 8:15 Uhr.

Ich stehe in der Schwedlerstrasse vor der Tür der „Fabrik“ – so nennen die Mitglieder des Ensemble Modern ihren Stammsitz. Ich liebe dieses Gebäude; es atmet Musik und ist vom Dach bis in den Keller voller exotischer Musikinstrumente und Menschen, die ebenso hart wie experimentierfreudig an ihren künstlerischen Visionen arbeiten. Jetzt allerdings werde ich etwas nervös. Nichts und niemand rührt sich. Habe ich mich im Tag vertan? Der Mobilfunktechnologie sei Dank öffnet mir ein Bekannter, der zufällig Probe hat, die Tore. Nach einigem Suchen finde ich meine Ansprechpartnerin Ina Meineke. Klar konnte ich sie telefonisch nicht erreichen. Die Büros sind um diese Uhrzeit nicht besetzt und sie war im Haus unterwegs auf der Suche nach Räumlichkeiten für die in wenigen Minuten anrückende Schülerschar der IGS Nordend. Die Räume sind aus Gründen, die im Dunkeln liegen nicht wie geplant verfügbar. Der Orchesterwart muss helfen. Gemeinsam werden zackzack neue Räume organisiert. Der Pianist stellt – unter Androhung von Strafe, falls irgendjemand seine Noten anrührt, ja auch nur ansieht – seinen Probenraum zur Verfügung. Die 3 anwesenden KulturTagJahr Künstler lassen sich von all dem nicht aus der Ruhe bringen und besprechen die Lage.

Schon in diesen ersten Momenten, bevor die beiden Systeme Schule und Kulturinstitution überhaupt aufeinandertreffen, wird deutlich, wie unterschiedlich sie funktionieren. Andere Uhrzeiten, andere Organisationsstrukuren, andere Problemlösungsstrategien. Und auch andere Anfahrtswege: der Trompeter Paul Hübner kommt leicht verknittert die Treppe herauf. Gestern Abend Konzertauftritt im 250 km entfernten Witten. Da muss man morgens schon mal etwas früher aufstehen… Angesichts der vollen Terminkalender, die die Ensemblemitglieder auch abseits ihrer gemeinsamen Verpflichtungen haben, grenzt es für mich an ein Wunder, dass alle 4 KulturTagJahr-Künstler anwesend sind.

Während sich die Musiker noch besprechen tröpfeln die IGS Schüler*innen herein und setzten sich ausgesprochen diszipliniert im Stuhlkreis hin. Sie sind hier zu Gast – und so benehmen sie sich auch. Es herrscht gespannte Aufmerksamkeit.

Kurze freundliche Begrüßung und dann geht es los mit Aufwärmübungen. Der Geiger Jagdish Mistry sagt mir später: „Musik muss man mit dem Körper spüren“. Es ist einer dieser Sätze, die Künstler*innen von Musiklehrer*innen unterscheiden. Musizieren als leiblich-sinnliche Erfahrung – im normalen schulischen Musikunterricht kommt dieser Aspekt nicht vor. Für die Künstler ist das eine Selbstverständlichkeit. Der Körper ist ihr „Arbeitsgerät“. Es mag eine banale Erkenntnis sein, aber diese Seins- und Herangehensweise, das „Musik mit Haut und Haaren leben“, ist u.a. gemeint, wenn von der „Authentizität der Künstlerpersönlichkeit“ die Rede ist. Und der können sich die Jugendlichen nicht entziehen. An diesem Vormittag zumindest beobachte ich bei den Jugendlichen eine enorm große Bereitschaft sich einzulassen und mitzugehen weil – so meine Vermutung – sie es hier mit Menschen zu tun haben, denen es wirklich Ernst ist mit der Musik.

Bei so viel „Authentizität“, körperlicher Präsenz, fachlichem, und methodischem Know How und künstlerischer Manpower ist es vielleicht kein Wunder, dass da nicht viel „Platz“ für den begleitenden Lehrer ist. Er überlässt den Musikern das Feld und ergreift allenfalls organisatorische oder disziplinarische Maßnahmen. Auf Nachfrage erzählt mir der Lehrer, eine konzeptionelle und inhaltliche Zusammenarbeit – wie vom Programm eigentlich intendiert und durch Lehrer- und Künstlerfortbildungen unterstützt – sei für ihn gar nicht möglich. Er sei kein Musiklehrer und außerdem wechsele er sich bei der Begleitung immer mit einem Kollegen ab. Auch die Musiker des Ensemble Modern scheinen auf diese Zusammenarbeit keinen großen Wert zu legen.

Hier zeigt sich eine der Schwachstellen des Programms: Schulen und Kulturinstitutionen bzw. Lehrer*innen und Künstler*innen arbeiten nicht in dem Maße zusammen (können es vielleicht auch nicht), wie es nötig wäre, um ein gemeinsames Konzept zu erstellen, um miteinander und voneinander zu lernen, um eine Veränderung des Schulalltags zu bewirken und peu a peu zumindest eine partielle Verselbständigung des Programmes zu ermöglichen. Mir scheint, sowohl die Kulturinstitutionen und Künstler als auch die Schulen und Lehrer*innen müssten  den Begriff „Kooperation“ mehr mit Leben  füllen. Vielleicht müssten insbesondere die Schulen auch besser in die Lage versetzt werden, einen aktiveren Part und mehr Verantwortung zu übernehmen. Für mich ist es schwer zu beurteilen – und vermutlich von Fall zu Fall unterschiedlich – ob es da an entsprechenden Rahmenbedingungen und Ressourcen, an Qualifikation oder Engagement mangelt.

Die Altana jedenfalls vollzieht gerade einen Strategiewechsel. Stiftungsmitarbeiterin Eva Schmidt formuliert es singemäß so: Die Stiftung zieht sich aus der inhaltlichen Ausgestaltung des Projektes teilweise zurück und konzentriert sich mehr auf die Rahmenbedingungen,  vor allem auf die Qualifizierung und Fortbildung der Akteure in diesem Bereich. Die Schulen werden hier in Zukunft mehr Freiraum, aber auch mehr Verantwortung für die Projektentwicklung haben. Diese wird Teil des Projektes sein. Ich bin gespannt, wie sich dieser Wechsel vollzieht und auch, ob Das KulturTagJahr danach weiterhin vielleicht auch erst recht ein Leuchtturmprojekt der Kulturellen Bildung sein wird.

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Hier geht’s zu einer Kurzdokumenatation des diesjährigen KulturTagJahr Projekts.

2 Gedanken zu “Leuchtturm KulturTagJahr

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